Im Hamam

Sauberkeit zwischen Ritual und Abenteuer

Eine kleine Reise durch Zeit und Wasserdampf in die plätschernde Urwelt türkischer Bäder.

 

Wir verabschieden uns vor dem hölzernen Eingangstor, Männer haben in den Frauenräumen des Hamams nichts zu suchen. Meine türkische Freundin Hasibe führt mich ein paar Stufen hinunter in einen kleinen offenen Vorhof mit Palmen und Zitrusbäumchen in rostigen Olivenölkanistern. Ein Brunnen plätschert in der Mitte, irgendwo lachen Kinder. Die alte Bademeisterin schlurft aus ihrem hölzernen Kassahäuschen, begrüsst uns herzlich und weist uns einen Platz im Umkleideraum zu, einer Art Baracke mit Bänken und Kleiderhaken.

Eine füllige Anatolierin schält sich mit Hilfe ihrer Enkelin aus ihren Pluderhosen und lächelt uns zu. Wir entkleiden uns bis auf die Unterhose und schlingen ein «pestemal», ein spezielles Badetuch aus leichtem Baumwollgewebe, um die Hüften. Wer das Tuch und andere Badeutensilien nicht mitgebracht hat, kann sie sich im Hamam gegen ein kleines Entgelt auch ausleihen. Eine Olivenölseife für Haut und Haar (zeytinyaglı sabun), eine kupferne Wasserschale (tas) und einen Rubbelhandschuh aus Ziegenhaar (kese) nehmen wir mit ins Dampfbad, Geld und Wertsachen geben wir bei der Kasse ab und bezahlen gleich den für unsere Begriffe recht geringen Eintrittspreis von ein paar Franken. Ob wir, für einen Aufpreis, Massage wollten, fragt die Bademeisterin, und merkt und vor für später. Neriman hätte heute Zeit für uns, meint sie, und meine Freundin Hasibe nickt befriedigt – Nerimans Massagen sind berühmt. Ein junges Mädchen bringt uns die «takunyas», mit eingebrannten Mustern verzierte hohe Holzpantinen, die vor dem nassen, heissen Fussboden im Hamam schützen.

Tausendjährige Badekultur
Nische mit Wasserbecken in einem Hamam

In den türkischen und arabischen Dampfbädern überlebt seit dem 8. Jahrhundert die antike Badekultur der Römer, das Schwitzen und Baden in unterschiedlich warmen, durch Hypokaustanlagen beheizten Räumen. Bei diesem Heizsystem «von unten» wird Heissluft von einem zentralen Heizraum aus durch Tonröhren und Hohlräume unter den Fussboden und in die Wände geleitet. In einem Hamam finden sich in der Regel drei Baderäume: ein Vorraum zum Angewöhnen und Ausruhen nach dem Bad (30 Grad), der überkuppelte Zentralraum mit Marmorpodest zum Schwitzen und für die Massage (50 Grad) und kleinere, etwas kühlere Nischen (40 Grad) mit Wasserbecken für die persönliche Körperpflege.

Im Hamam ist es lange nicht so heiss wie in der finnischen Sauna, die feuchte Hitze lässt sich auch während eines halbtägigen klassischen Hamambesuchs in der Regel gut ertragen. In Europa gingen übrigens die römischen Badesitten vergessen (Baden galt sogar als schädlich und verwerflich), bis die Kreuzritter im 12./13. Jahrhundert neben vielen anderen arabisch-islamischen Errungenschaften aus Wissenschaft und Geistesleben auch die Kultur der orientalischen Bäder ins Abendland zurückbrachten.


Vorsichtig stakse ich hinter der Freundin Hasibe und dem jungen Mädchen her, das uns ins Innere des Bades führt, vorbei an den Toilettenanlagen im schummrigen Halbdunkel. Eine wohlige Wärme empfängt uns im Vorraum. Wir setzen uns für eine Weile auf die Ruhebänke und belauschen unsere Nachbarinnen beim Tratschen. Dann aber hälts uns nicht länger und wir stossen die Klapptüre auf zu einer plätschernden, glucksenden, nebligen Urwelt. Vom heissen Boden steigt Wasserdampf auf, von der Kuppeldecke und den Wänden tropft Kondenswasser.

Frauenwelt im Wasserdampf

Von irgendwoher taucht Neriman, die Badefrau, aus dem Dunst auf; sie hat für Hasibe und mich eine Nische zum Waschen und Schwitzen frei gehalten. Wir legen uns auf die heissen Marmorbänke, die den Wänden entlanglaufen, und lassen dem Körper, der Haut und uns selber Zeit, weich zu werden. Über uns wölbt sich das steinerne Halbrund der niederen Decke. Die höhlenartige Atmosphäre, das Plätschern des heissen Wassers ins Marmorbecken neben den Steinbänken, die Hitze die einen bis ins Innerste wärmt – das alles verspricht grenzenlose Entspannung, Geborgenheit und Ruhe vor der Welt.

In der Nische nebenan quiekt protestierend ein Kind, es wird wohl von seiner Mutter mit Seife und Lappen geschrubbt, ohne Rücksicht darauf, ob der Schaum in die Augen läuft. Für Zimperlichkeit ist im Hamam kein Platz, ebensowenig wie im Alltag. Trotzdem lieben die Türken ihre Kinder, ihre «Blumen auf Allahs Wiese», über alle Massen. Überhaupt gehört das Zusammensein im Familienverband zu den höchsten Freuden. Nicht selten treffen sich die Frauen auch zum gemeinsamen Bad. Schwägerinnen waschen sich gegenseitig, kleine Mädchen seifen ihre Grossmutter ein, Mütter begiessen ihre Kinder mit Wasser (auch Buben dürfen übrigens mit herein, bis sie «verständig» sind, dann wechseln sie in die Männerabteilung). Es herrscht eine überwältigende, selbstverständliche Körperlichkeit, die sich von allem unterscheidet, was ich aus europäischen Saunas oder Frauenbadeanstalten kenne, und die fern jener Erotik liegt, die in manchen Männerhirnen herumspuken mag.

Neriman holt mich mit einem Guss Wasser aus meinen Überlegungen. Sie hat sich auf eine Stufe unterhalb des Wasserbeckens gesetzt und mich wie ein widerspenstiges Kind zwischen ihre kräftigen Schenkel geklemmt. Routiniert lässt die Badefrau das Seifenstück auf meinem Haar und meinem Körper kreisen und schöpft sich zwischendurch mit der Kupferschale das warme Wasser aus dem Becken zum Abspülen des Schaums, mit dem auch mein letzter zaghafter Widerstand die Schmutzwasserrinne hinunterläuft.

Sozialer Treffpunkt

Im Hamam gibt es keine Wannen, nur selten ein grosses Bassin. Muslime waschen sich den religiösen Vorschriften folgend stets unter fliessendem Wasser. Grosse Reinigungsbrunnen und Bäder wurden in fast jedem Moscheebezirk ebenso geplant wie Medresen (theologische Schulen), Armenküchen und Spitäler. Die öffentlichen Bäderanlagen gehörten oft zu den schönsten Gebäuden der orientalischen Städte, entworfen von den berühmtesten Architekten ihrer Zeit, finanziert von reichen Gönnern als Zeichen ihrer Wohltätigkeit.

Damit sich alle Gesellschaftsschichten die vorgeschriebenen Waschungen leisten konnten und da private Badegelegenheiten eher die Ausnahme darstellten, waren die öffentlichen Bäder lange Zeit kostenlos. Heute, wo ein geheiztes Badezimmer in vielen Wohnungen und Häusern zu finden ist, hat das Hamam etwas von seiner religiösen und sozialen Funktion verloren. Wer aber mit Familienangehörigen und Freunden baden gehen und v.a. im Winter wieder einmal richtig durchwärmt sein will, besucht noch immer mit Begeisterung das Dampfbad, das oft bis spät in die Nacht geöffnet bleibt.

Die grösseren Anlagen führen zwei getrennte Abteilungen für Männer und Frauen, die kleineren Bäder reservieren bestimmte Tage oder Tageszeiten für das eine oder andere Geschlecht. Dass Frauen und Männer zusammen baden, wie es seit einiger Zeit in einzelnen Bädern den Touristen erlaubt wird, war nie türkische Sitte und gilt als unschicklich – glücklicherweise, denn im Hamam konnte so ein wichtiges Stück orientalischer Frauenkultur entstehen, zumal das Bad lange Zeit die einzige Möglichkeit bot, sich ausser Haus mit Freundinnen zu treffen (Kaffeehäuser waren und sind v.a. auf dem Land nach wie vor an vielen Orten den Männern vorbehalten).

Porentiefe Reinheit

Nachdem auch meine Freundin Hasibe eingeseift und gewaschen worden ist, wechseln wir in den Kuppelsaal, in dessen Mitte der Nabelstein (göbek tası), ein erwärmter Marmorsockel, als Massagetisch dient. Sonnenlicht fällt sanft und märchenhaft durch die sternförmigen Fensterlöcher in der Kuppel über uns. Vor der eigentlichen Massage werden erst die abgestorbenen und jetzt schön aufgeweichten Hautzellen entfernt. Neriman benutzt dazu eine «kese», einen Rubbelhandschuh aus Ziegenhaar, den sie mit sanftem Druck über den Körper reibt. In langen grauen Röllchen (übrigens das Qualitätszeichen für die Arbeit einer erfahrenen Bademeisterin) lösen sich so anatolischer Staub, Seifenreste und unnütze Haut, ohne dass wunde Stellen entstehen. Eine zweite Badefrau hat sich der türkischen Freundin angenommen, sie rosig gerubbelt und nachher mit viel warmem Wasser abgespült.

Wohlig entspannt liegen wir auf dem warmen Marmor, werden erneut eingeseift und anschliessend von Kopf bis Fuss massiert. Über die türkische Massage kursieren die wildesten Gerüchte und genüsslichsten Schilderungen, v.a. aus der Männerabteilung: «Das Lächeln dieses Menschen hätte mich warnen sollen», schreibt der europäische Hamambesucher Jean Katzenberger in einem alten Merian-Heft über seinen Masseur und ist überzeugt, eine türkische Massage nur «im Zustand völliger Apathie» überstehen zu können. Mag sein, dass die Sitten bei den Männern rauher sind – ich habe die erfahrenen Massagegriffe Nerimans und ihre praktische Tüchtigkeit genossen. Sie verabschiedet sich mit ein paar energischen Wassergüssen aus der Kupferschale. Sauberkeit gehört zum Alltag, für Abenteuer ist da wenig Platz.

Nun bleibt noch Zeit, um die Haare mit Henna zu färben, die Hornhaut an den Füssen mit Bimsstein zu entfernen oder die Haare unter den Achseln und in der Schamgegend zu rasieren. Das gilt in der Türkei und in den arabischen Ländern als hygienisch und unverzichtbar – auch Männer enthaaren sich an diesen Stellen. Eine alte Bademeisterin schlurft in Plastiksandalen vorbei und bietet verheissungsvoll lächelnd Einmalrasierer an. Die Haare an den Beinen entfernt man traditionellerweise mit einer klebrigen Paste aus eingekochter Zuckermasse und Zitronensaft (türkisch agda, arabisch halawa), die wie Wachs auf die Haare aufgedrückt und mit einem Ruck wieder abgezogen wird.

In der Männerabteilung gehörten Barbiere schon in den Anfängen der Hamamkultur zum Badepersonal, ebenso Bader, Masseure und Heizer. Ähnlich wie auf ihren Märkten kannten und kennen die Araber und Türken in den Bädern eine strenge Gewerbe-, Hygiene- und Sittenaufsicht. Ständig wurden die Sauberkeit der Anlagen, die Heizung, die Wäsche und sogar die Schärfe der Rasiermesser kontrolliert. Vieles in den traditionsreichen Badeanlagen ist unterdessen vom Zahn der Zeit angenagt, von Kalk und anderen Ablagerungen überdeckt, vom ewigen Wasserdampf angerostet. Trotzdem (oder vielleicht deswegen) vermitteln die meisten Hamams eine ganz besondere Atmosphäre zeitloser Freude an Sauberkeit, plätschernden Brunnen und Geselligkeit.

Rückkehr zum Alltag

Nach ein paar allerletzten erfrischenden Kaltwassergüssen trennen wir uns wehmütig und etwas widerwillig von dieser Frauenwelt im Wasserdampf, schlingen unsere Tücher um Hüfte und Kopf und lassen uns im Vorraum auf die Bänke sinken. Interessanterweise ist die Haut nach all dem Dampf überhaupt nicht schrumpelig, sondern im Gegenteil samtweich und rosig.

Hasibe bittet ein Mädchen, ihre Tasche aus der Garderobe zu holen, die sie vorsorglich mit Obst und Gebäck gefüllt hat. Freizügig verteilt sie ihre Sesamkringel und Apfelschnitze an die anderen Frauen, die Tee schlürfend langsam in die kühlere Wirklichkeit des Alltags zurückfinden. Im Gegenzug erhalten wir geröstete Kichererbsen, Erdnüsse und Pistazien zum Knabbern. Ich bestelle uns Tee und beantworte die höflich-neugierigen Fragen nach meinem Ergehen, den Lebensverhältnissen, meinem Ehemann, nicht ohne ebenfalls Erkundigungen einzuziehen.

Man erfährt beim Tratschen und Diskutieren neben Koch- und Schönheitsrezepten auch einiges über Sozialpolitik, Literatur oder Musik, und die Mütter können sich in Ruhe nach einer künftigen Schwiegertochter umsehen. Nur keine Eile, lasst uns noch einen Tee trinken. – In diesem Ruheraum verweilt man, bis die Haare trocken sind und der Körper sich abgekühlt hat. Dann schlüpft man wieder in die Kleider und verteilt Trinkgelder an die Badefrauen. Schön wars, bis zum nächsten Mal.

Mein türkischer Ehemann empfängt mich strahlend vor der Tür, auch er entspannt und rosig. In der Männerabteilung hat er einen alten Freund getroffen, sie haben sich gegenseitig eingeseift, massiert und über alte Zeiten gelacht – im Dampf der türkischen Bäder blieb offenbar auch ein wichtiges Stück Männerkultur am Leben.