Zitronenpresse

Saft aus dem Wunderröhrchen

Seit wir auf einer Istanbuler Fähre zum ersten Mal gesehen haben, wieviel Saft sich mit diesem schlichten Plastikröhrchen aus Zitronen holen lässt, sind wir von dem praktischen Ding begeistert.
 
Als wir auf das Oberdeck des Schiffes kamen, hatte er gerade mit seiner Vorführung begonnen, lobte die Vorzüge von Zitronensaft an Suppen, Salaten und überhaupt eigentlich allen Speisen, das Vitamin C, den Duft, den Geschmack, die Frische. Dann sprach der gewiefte Verkäufer – wohl ein Lehrer, der seinen geringen Lohn etwas aufbessern wollte – allen Hausfrauen und -männern aus dem Herzen, indem er all das Unschöne schilderte, das mit der «Produktion» des grossartigen Saftes verbunden ist: Gerätschaften, die die Schubladen verstopfen und schwierig zu waschen sind, Saft, in dem die Kerne schwimmen, traurig zerquetsche Zitronen, die jedem Gourmet am Tisch ein Greuel sind. Das Publikum, das sich mit Tee und Sesamkringeln um ihn scharte, murmelte anerkennend.

Diese Zustände hätten nun aber ein Ende, verkündete (nennen wir ihn) Osman beglückt und kramte aus seiner Tasche ein kleines buntes Plastikröhrchen und eine Zitrone. Diese rollte und knautschte er zuerst liebevoll, schnitt dann ein kleines Stück der Schale an der Spitze ab und drehte mit geübter Bewegung das Plastikröhrchen in die Frucht, bis nur noch das trichterähnliche Ende herausragte. Er umschloss die Zitrone mit der Faust, drückte sie ein paar Mal zusammen und goss dann klaren, kernfreien Saft in ein bereit gestelltes Glas. Die Zuschauenden waren begeistert und suchten bereits nach Kleingeld. Als Osman nach erneutem Drücken der rohrbestückten Frucht noch einmal einen üppigen Strahl ins Glas giessen konnte, war die Sache für alle klar: dieses Wunderröhrchen mussten sie haben.
Klein und praktisch

Auch wir haben uns damals eines gekauft und dem klugen Verkäufer zu seiner Vorführung gratuliert. Zurück in der Schweiz haben wir schnell bedauert, auf der Istanbuler Fähre nicht gleich einige Dutzend erstanden zu haben. Sicher fünf, sechs Einkaufsreisen vergingen, ohne dass wir je wieder einem Strassenhändler begegnet wären, der die Zitronensaftpressen angeboten hätte. Später wurde ein Neffe bei einem Vorführer in einem Vorortszug fündig, ein anderes Mal entdeckten wir zufällig einen Marktverkäufer im anatolischen Konya, der gerade seine Röhrchen aus Istanbul auspackte, irgendwann tauchten die Dinger für kurze Zeit in den Läden auf. So gelang es uns immer mal wieder, einige Zitronenröhrchen für unsere Kundinnen und Kunden aufzutreiben.

Erst kürzlich hat unser Neffe erneut einige Dutzend bei einem Strassenhändler erstehen können. Die liegen jetzt bei uns im Laden in einem Körbchen, kosten Fr. 5.-- und warten auf alle, die Platz in der Schublade oder Vitamin C gegen eine sich ankündende Erkältung brauchen und am Tisch ihren Zitronensaft frisch anbieten möchten. Die Zitrone mit dem eingedrehten Röhrchen drin lässt sich übrigens ohne weiteres einige Tage in einem Schälchen oder Eierbecher im Kühlschrank zwischenlagern, bis auch der letzte Tropfen rausgepresst ist.