Oya-Spitzen

alte Kopftücher mit oya-Spitzen aus unserer Privatsammlung

Filigrane Blütenpracht

Nur mit Nähnadel und dünnem Garn erschaffen die Frauen Anatoliens wundervolle Spitzen und vielfarbige Blüten, welche die Ränder von Kopftüchern und anderen Textilien schmücken und früher sogar eine Art Geheimsprache waren.

 

Oya-Spitzen sind die älteste Form türkischer Spitzen und werden mit Nadel und Faden bzw. Stickgarn (früher in der Regel Seide, heute Naylon u.ä.) gearbeitet. Türkisch heissen sie «iğne oyası», in Deutsch kennt man die Technik unter «Nadelspitze», im Englischen unter «turkish needle lace».

Nadelspitzen bauen auf Fadenknoten und dazwischen liegenden Fadenbogen auf. Die Knoten entstehen, indem man den Faden ein- oder zweimal um die Nadel wickelt und die Nadel dann durchzieht. Zweifache Wickelung gibt der Spitze mehr Stand. Zwischen den Knoten bleiben winzige Fadenbogen stehen, in die in der nächsten Reihe wiederum die Knoten zu liegen kommen. Daraus ergibt sich eine Art Netz allerfeinster Art, das zu zauberhaften Spitzen, dreidimensionalen Blüten und anderen Gebilden aufgebaut wird. Um der Spitze Festigkeit zu geben, werden auch Nylonfäden oder Rosshaare eingearbeitet (Anm: z.B. am Rand einer Blüte), zur Verzierung Perlen oder Pailletten. Nach Fertigstellung werden Oyas normalerweise gestärkt (vgl. später).

Allgemeines
feinste oya-Motive auf einem weissen Designer-Kleid

Oyas werden in der Regel von rechts nach links auf der Rückseite des Stoffes gearbeitet, so kann man gleichzeitig säumen, indem man die Stoffkante rollt und überstickt und damit den Saum festhält. Es gibt aber auch Frauen, die von links nach rechts arbeiten.

Bekannt sind die Oyas aus Elazıg, Kütahya, Bursa, Gediz, Mugla, Konya, Kastamonu, Rize, Balikesir, Izmir, Ordu und Inebolu.

Oyas werden gearbeitet:
• auf einer Häkelschnur aus Kettmaschen (die später aufgenäht wird)
• über einem dicken Faden (z.B. Baumwollgarn o.ä.): die Oyas, in der Regel wohl Blümchen, können später von der Schnur abgezogen und irgendwo angenäht werden
• am Rand eines Stoffes: entweder an bereits versäuberte Teile oder an ungesäumte, die dann gleichzeitig mit der Oya-Stickerei gesäumt werden (vgl. oben)
• als Einzelspitze, z.B. als Deckchen oder grössere Motive, die später zu grösseren Decken, Vorhängen u.ä. zusammengesetzt werden

und verwendet als Verzierung an Kleidungsstücken (Kragen, Brusttaschenbesatz), Kopftüchern, Foulards, Taschentüchern, Bettzeug, Tischwäsche, Servietten, aber auch als Halskette, Spitzenkragen, Ohrschmuck, Broschen u.ä.

Motive

Die Stickerin lässt sich inspirieren von Pflanzen (Rose, Veilchen, Lilien, Mohn, Kamille, Quittenblüten, Granatapfelblüten, Nelken u.ä.), der Natur (Berge, Felsen, Hügel, Gewässer u.ä.), geometrischen Gegenständen und Formen (z.B. Ornamentik in Moscheen) und altbekannten Symbolen, die Gefühle und Gedanken ausdrücken (Grabstein, «der Streit der Verliebten», Peperoncini etc.). Früher konnte man an den damit verzierten Kopftüchern die Stimmungslage der Trägerin ablesen, ob sie glücklich mit dem Ehemann war, Streit mit der Schwiegermutter hatte oder ganz einfach vergnügt und gesund war.

Stärken
altes Blüten-oya mit eingearbeitetem Rosshaar an einem feinen Baumwolltuch

Oya werden standfester durch doppeltes Umwickeln der Nadel während der Herstellung, durch eingearbeitete Rosshaare oder Nylonfäden sowie durch nachträgliches Behandeln mit speziellen Stärke-Lösungen:

Mit Gelatine: kleine Gelatinestückchen in heissem Wasser auflösen und die Flüssigkeit z.B. mit einem Pinsel auf der Rückseite der Spitze auftragen

Mit Eiweiss: Oya auf einer mehrlagigen, sauberen Stoffunterlage mit der Rückseite nach oben aufspannen. Mit einem Pinsel das (Anm: vermutlich leicht geschlagene) Eiweiss vorsichtig auftragen. Aufgespannt trocknen lassen. Wichtig: so gestärkte Oyas kann man nicht heiss bügeln, weil das Eiweiss sonst gerinnt.

Mit Zucker: Kristallzucker in warmem Wasser auflösen, die Oyas (Anm: v.a. vermutlich Blümchen) darin eintunken, mit der Hand in Form drücken und trocknen lassen.

Zu beachten

1. Der Faden muss glatt (d.h. ohne Unebenheiten oder Knötchen) und gedreht sein.
2. Man arbeitet von rechts nach links
3. Die entstehenden «Bögli» regelmässig und sauber arbeiten.
4. Die Knoten fest anziehen.
5. Damit es noch schöner wird, den Faden zweimal um die Nadel schlingen.
6. Man arbeitet auf der Rückseite der Spitze bzw. des Stoffes.
7. Nur ganz saubere Stärke-Lösungen verwenden, um die Verschmutzung der Spitze zu verhindern.
8. Oya aus Nylonfaden und mit Eiweiss gestärke Oyas nicht zu heiss bügeln.

Die Zürefa-Grundkante
So arbeitet man die Grundkante und die erste Reihe

Mit der bei der Zürefa gelernten Knotentechnik lassen sich später alle anderen Formen aufbauen.

Am linken Ende der Stoffkante beginnen, Fadenende später im Rollsaum verstecken oder übersticken. Den Arbeitsfaden immer hinten an der Arbeit hängen lassen. Es ist auch möglich, von rechts nach links zu arbeiten (vgl. die beiden unten verlinkten Videos). An der Knotentechnik ändert sich dabei nichts.

Nadel rechts vom Faden einstechen (der Faden muss vorne über der Nadel liegen bleiben) und den vom Öhr her kommenden Faden hinter der Nadel herum von rechts nach links vorne legen. Dann Nadel ganz durchziehen und den Faden gut anziehen. Damit ein lockeres Bögli entsteht (das ist typisch für den Zürefarand und kein Fehler!), den Faden beim Anziehen zuerst nach links oben ziehen, bis der Knoten fast an der Stoffkante ist, dann ruckartig senkrecht zur Kante nach oben ziehen. Wiederholen bis Faden fertig ist. Immer ca. 2 mm tief in den Stoff stechen und ca. 2 mm Abstand zum vorhergehenden Stich lassen.

Es arbeitet sich am angenehmsten, wenn man die Stoffkante auf den linken Zeigefinger legt und sie vorne mit dem Daumen und hinten mit dem Mittelfinger festklemmt (allerdings fehlt einem dabei vielleicht ein wenig die Übersicht über den Musteraufbau an der ganzen Kante).

Wenn der Faden zum angenehmen Arbeiten zu kurz ist und immer wieder aus dem Öhr rutscht, kann man ihn am Nadelöhr verknoten und so noch ein bisschen weiterarbeiten. Das spart Faden, was früher bei den wertvollen Seidenfäden wichtig war.

Faden wechseln: den letzten Knopf gut anziehen, etwas Faden stehen lassen (ergibt wieder ein Bögli), den neuen Faden einsetzen, d.h. einen normalen Oya-Knoten bilden und die Fadenenden entweder mit den nächsten 1-2 Stichen übersticken oder in den Rollsaum einarbeiten.

An den Stoffecken einfach weiterarbeiten, evtl. 2-3 mal in die selbe Einstichstelle stechen.

Diese YouTube-Videos zeigen, wie man die Zürefa-Grundkante arbeitet: Einmal von links nach rechts >Video 1 «Zürefa», oder von rechts nach links: >Video 2 «Zürefa»

Das Dreieck
«kök» in Hellgrün mit klaren Bögli und Spannfaden.

Eines der wichtigsten Grundmotive ist das Dreieck, türkisch «kök» (Wurzel), «kaya» (Fels) oder «dağ» (Berg) genannt. Die Dreiecke können in verschiedenen Grössen gearbeitet und am Rand verziert oder z.B. mit zwei- oder dreidimensionalen Oya-Blumen verziert werden. Die an diesem Dreieck geübte Technik kann man später für alle möglichen Blätter und Blüten einsetzen.

An der Zürefa-Kante je nach gewünschter Grösse des Dreiecks 3-7 Bögli zurückzählen, die Nadel dort ins Bögli einstecken. Dadurch ensteht über der Zürefa-Reihe ein Spannfaden, der später überstickt wird.

Dann ins Bögli einen Knoten arbeiten.

Dann weiter nach links arbeiten und in jedes Bögli einen Knoten setzen und dabei den Spannfaden einarbeiten. Dazwischen immer Bögli stehen lassen.

Wenn man links angekommen ist, wieder ins Bögli ganz rechts der eben gearbeiteten Reihe einstechen, und wie oben beschrieben weiterarbeiten. Dadurch verringert sich die Anzahl der Bögli in jeder Reihe um 1 (also z.B. 5-4-3-2-1), bis am Ende nur noch ein einziges Bögli steht.

In diesem YouTube-Video sieht man gut, wie das Dreieck entsteht (und dass man das Ganze auch seitenverkehrt arbeiten kann): >Video «Kaya-Dreieck»

In das letzte Bögli kann z.B. eine Perle eingearbeitet werden, oder es werden drei oder mehr Fadenschlaufen gearbeitet (Piko), die so stehen bleiben oder später mit weiteren Motiven überstickt werden.

Werden mehrere Dreiecke in der selben Farbe auf die Zürefa gearbeitet, führt man den Faden von der Spitze des Dreieckes als Spannfaden wieder runter auf die Zürefa-Kante (man kann in den Spannfaden wieder Perlen einarbeiten oder eine Stabperle), überstickt die nötige Anzahl Böglis und arbeitet dann weitere Dreiecke wie beschrieben. (Anm: es gibt auch Modelle ohne den erwähnten Spannfaden: dabei stickt man von der Spitze des Dreiecks weiter kleinere oder grössere Bögli entlang der linken Dreieckskante bis hinunter auf die Zürefa).

Wenn man die Farbe des Fadens wechselt und z.B. winzige Dreiecklis als Kontrast zur Zürefa stickt, kann man den Faden an der Spitze des Dreiecks auch einfach abschneiden (Knoten gut anziehen).